Autor: Ludwig Bechstein
Höret zu! Ich will euch von einem guten Lande erzählen, dahin würde mancher auswandern, wüsste er, wo selbiges läge und hätte er eine gute Schiffsgelegenheit. Aber der Weg dahin ist weit für die Jungen und für die Alten, denen es im Winter zu kalt ist und zu heiß im Sommer.
Diese schöne Gegend heißt Schlaraffenland, auf Wälsch Cucagna. Dort sind die Häuser gedeckt mit Eierfladen, Türen und Wände sind von Lebkuchen und die Balken von Schweinebraten. Was man bei uns für einen Dukaten kauft, kostet dort nur einen Pfennig. Um jedes Haus herum steht ein Zaun, der ist von Bratwürsten geflochten und von bayrischen Würsteln, die sind teils auf dem Rost gebraten, teils frisch gesotten, je nachdem ob sie einer gern so oder so isst. Alle Brunnen sind voll Malvasier und andren süßen Weinen, auch Champagner, die rinnen einem nur so in den Mund hinein, wenn er es an die Röhren hält. Wer also gern solche Weine trinkt, der eile sich, dass er in das Schlaraffenland komme. Auf den Birken und Weiden da wachsen die Semmeln frischgebacken und unter den Bäumen fließen Milchbäche. In diese fallen die Semmeln hinein und weichen sich selbst ein für die, so sie gern einbrocken. Das ist etwas für Weiber und für Kinder, für Knechte und Mägde! Holla Gretel, holla Steffel! Wollt ihr nicht auswandern? Macht euch herbei zum Semmelbach und vergesst nicht, einen großen Milchlöffel mitzubringen!
Essen bis zum Umfallen
Die Fische schwimmen in dem Schlaraffenlande obendrauf auf dem Wasser, sind auch schon gebacken oder gesotten und schwimmen ganz nahe am Gestade. Wenn aber einer gar zu faul ist und ein echter Schlaraff, der darf nur rufen pst! pst! - so kommen die Fische auch heraus aufs Land spaziert und hüpfen dem guten Schlaraffen in die Hand, so dass er sich nicht zu bücken braucht. Das könnt ihr glauben, dass die Vögel dort gebraten in der Luft herum fliegen, Gänse und Truthähne, Tauben und Kapaunen, Lerchen und Krammetsvögel und wem es zu viele Mühe macht, die Hand danach auszustrecken, dem fliegen sie schnurstracks in den Mund hinein. Die Spanferkel geraten dort alle Jahre überaus trefflich. Sie laufen gebraten umher und jedes trägt ein Tranchirmesser im Rücken, damit, wer da will, sich ein frisches saftiges Stück abschneiden kann. Die Käse wachsen in dem Schlaraffenlande wie die Steine, groß und klein, die Steine selbst sind lauter Taubenkröpfe mit Gefülltem, oder auch kleine Fleischpastetchen. Im Winter, wenn es regnet, so regnet es lauter Honig in süßen Tropfen, da kann einer lecken und schlecken, dass es eine Lust ist! Und wenn es schneit, so schneit es klaren Zucker, und wenn es hagelt, so hagelt es Würfelzucker, untermischt mit Feigen, Rosinen und Mandeln. In Schlaraffenland legen die Rosse keine Rossäpfel, sondern Eier, große, ganze Körbe voll, und ganze Haufen, so dass man tausend um einen Pfennig kauft. Und das Geld kann man von den Bäumen schütteln, wie die Kästen (gute Kastanien). Jeder mag sich das Beste herunterschütteln und das Minderwerte liegen lassen.
In dem Lande gibt es auch große Wälder, da wachsen im Buschwerk und auf den Bäumen die schönsten Kleider: Röcke, Mäntel, Schauben, Hosen und Wämse in allen Farben, schwarz, grün, gelb, (für die Postillons) blau oder rot, und wer ein neues Gewand braucht, der geht in den Wald und wirft es mit einem Stein herunter, oder schießt mit dem Bolzen hinauf. In der Heide wachsen schöne Damenkleider von Sammt, Atlas, Gros de Naples, Barege, Madras, Tafft, Nankin usw. Das Gras besteht aus Bändern von allen Farben, auch ombrirt. Die Wachholderstöcke tragen Brochen und goldene Chemisett- und Mantelettnadeln und ihre Beeren sind nicht schwarz, sondern echte Perlen. An den Tannen hängen Damenuhren und Chatelaines sehr künstlich. Auf den Stauden wachsen Stiefeln und Schuhe, auch Herren und Damenhüte, Reisstrohhüte mit Marabouts und allerlei Kopfputz mit Paradiesvögeln, Kolibris, Brillantkäfern, Perlen, Schmelz und Goldborten verziert.
Seelig sind die Faulen und Dummen
Dieses edle Land hat auch große Messen und Märkte mit schönen Freiheiten. Wer eine alte Frau hat und mag sie nicht mehr, weil sie ihm nicht mehr jung genug und hübsch ist, der kann sie dort gegen eine junge und schöne vertauschen und bekommt noch ein Draufgeld. Die Alten und Garstigen (denn ein Sprichwort sagt: wenn man alt wird, wird man garstig) kommen in ein Jungbad, damit das Land begnadigt ist. Das ist von großen Kräften. Darin baden die alten Weiber etwa drei Tage oder höchstens vier, da werden schmucke Dirnlein daraus von siebzehn oder achtzehn Jahren. Auch viel und mancherlei Kurzweil gibt es im Schlaraffenlande. Wer hier zu Lande gar kein Glück hat, der hat es dort im Spiel und Luftschießen, wie im Gesellenstechen. Mancher schießt hier alle sein Lebtag daneben und weit vom Ziel, dort aber trifft er, und wenn er der allerweiteste davon wäre, doch das Beste. Auch für die Schlafsäcke und Schlafpelze, die hier von ihrer Faulheit arm werden, dass sie Bankrott machen und betteln gehen müssen, ist jenes Land vortrefflich. Jede Stunde Schlafens bringt dort einen Gulden ein, und jedesmal Gähnen einen Doppeltaler. Wer im Spiel verliert, dem fällt sein Geld wieder in die Tasche. Die Trinker haben den besten Wein umsonst und für jeden Trunk und Schlung drei Batzen Lohn, sowohl Frauen als Männer. Wer die Leute am besten necken und aufziehen kann, bekommt jeweils einen Gulden. Keiner darf etwas umsonst tun, und wer die größte Lüge macht, der hat allemal eine Krone dafür.
Hier zu Lande lügt so mancher drauf und drein, und hat nichts für diese seine Mühe. Dort aber hält man Lügen für die beste Kunst, daher lügen sich wohl in das Land allerlei Procura -, Doc - und andere Toren, Rosstäuscher und die dreisten Handwerksleute, die ihren Kunden stets versprechen und nimmer Wort halten. Wer dort ein gelehrter Mann sein will, muss auf einen Grobian studiert haben. Solcher Studenten gibts auch bei uns zu Lande, haben aber keinen Dank davon und keine Ehren. Auch muss er dabei faul und gefräßig sein, das sind drei schöne Künste! Ich kenne Einen, der kann alle Tage Professor werden.
Wer gern arbeitet, Gutes tut und Böses lässt, dem ist Jedermann dort abhold und er wird des Schlaraffenlandes verwiesen. Aber wer tölpisch ist, gar nichts kann, und dabei doch voll dummen Dünkels, der ist dort als ein Edelmann angesehen. Wer nichts anderes kann als schlafen, essen, trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Dem aber, welchen das allgemeine Urteil als den faulsten und zu allem Guten untauglichsten erkannt, der wird König über das ganze Land und hat ein großes Einkommen.
Der Weg dortin
Nun wisset ihr von des Schlaraffenlandes Art und Eigenschaft. Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden. Aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn der sagt ihm gewisslich keinen falschen Weg. Um das ganze Land herum ist aber eine berghohe Mauer von Reisbrei. Wer hinein oder heraus will, muss sich da erst durchfressen.