Autor: Gebrüder Grimm
Ein schöner Tag
An einem Sommermorgen saß ein Schneiderlein auf seinem Tisch am Fenster, war guter Dinge und nähte aus Leibeskräften. Da kam eine Bauersfrau die Straße herab und rief:
Das klang dem Schneiderlein wohl in die Ohren. Er steckte sein zartes Haupt zum Fenster hinaus und rief:
Die Frau stieg die drei Treppen mit ihrem schweren Korbe zu dem Schneider herauf und mußte die Töpfe sämmtlich vor ihm auspacken. Er besah sie alle, hob sie in die Höhe, hielt die Nase dran und sagte endlich:
Die Frau, welche gehofft hatte, einen guten Schnitt zu machen, gab ihm was er verlangte, ging aber ganz ärgerlich und brummig fort.
rief das Schneiderlein,
holte das Brot aus dem Schrank, schnitt sich ein Stück über die ganze Länge und strich sich das Mus darüber.
sprach er,
Er legte das Brot neben sich, nähte weiter und machte vor Freude immer größere Stiche. Indeß stieg der Geruch von dem süßen Mus die Wand hinauf, wo die Fliegen in großer Menge lauerten, so dass sie heran gelockt wurden und sich scharenweise auf das Brot stürzten.
Sieben auf einen Streich
sprach das Schneiderlein und jagte die ungebetenen Gäste fort. Die Fliegen aber, die keine Sprache verstanden, ließen sich nicht verscheuchen und kamen in immer größerer Gesellschaft wieder.
Da lief dem Schneiderlein endlich, wie man sagt, die Laus über die Leber. Es holte aus seiner Hölle neinen Tlappen und rief:
Dann schlug es unbarmherzig drauf. Als es abzog und zählte, so lagen nicht weniger als sieben Fliegen vor ihm tot und streckten die Beine.
Das tapfere Schneiderlein
sprach er und mußte selbst seine Tapferkeit bewundern.
Und in der Hast schnitt sich das tapfere Schneiderlein einen Gürtel, nähte ihn und stickte mit großen Buchstaben darauf:
und sein Herz wackelte ihm vor Freude wie ein Lämmerschwänzchen."
Der Schneider band sich den Gürtel um den Leib und wollte in die Welt hinaus, da er meinte, dass die Werkstatt zu klein sei für seine Tapferkeit.
Bevor er auszog, suchte er noch in seinem Haus nach etwas nützlichem, fand aber nichts außer einem alten Käse. Den steckte er ein.
Vor dem Tor bemerkte er einen Vogel, der sich im Gesträuch verfangen hatte. Der mußte zu dem Käse in die Tasche. Nun nahm er den Weg tapfer zwischen die Beine, und weil er leicht und behend war, fühlte er keine Müdigkeit.
Der Riese
Der Weg führte ihn auf einen Berg. Als er den höchsten Gipfel erreicht hatte, saß dort ein gewaltiger Riese und schaute sich ganz gemächlich um. Das Schneiderlein ging beherzt auf ihn zu, redete ihn an und sprach:
Der Riese sah das Tapfere Schneiderlein verächtlich an und sprach:
antwortete das Schneiderlein empört, knöpfte den Rock auf und zeigte dem Riesen den Gürtel,
Der Riese las:
Prüfungen
und meinte, das wären Menschen gewesen, die der Schneider erschlagen hätte. Da bekam er ein wenig Respekt vor dem kleinen Kerl. Doch wollte er ihn erst prüfen. Er nahm einen Stein in die Hand und drückte ihn zusammen, dass das Wasser heraus tropfte.
sprach der Riese,
sagte das Schneiderlein,
Er griff in die Tasche, holte den weichen Käse hervor und drückte ihn, dass der Saft nur so heraus floss.
sprach er,
Der Riese wußte nicht, was er sagen sollte und konnte es nicht glauben. Da hob der Riese einen Stein auf und warf ihn so hoch, dass man ihn mit Augen kaum noch sehen konnte:
sagte der Schneider,
Er griff in die Tasche, nahm den Vogel und warf ihn in die Luft. Der Vogel, froh über seine Freiheit, flog auf und kam nicht wieder.
fragte der Schneider.
sagte der Riese,
Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichbaum, der da gefällt auf dem Boden lag und sagte:
antwortete der kleine Mann,
Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, das Tapfere Schneiderlein aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, mußte den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war da hinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen "es ritten drei Schneider zum Tore hinaus", als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel.
Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter und rief:
Der Schneider sprang behendiglich herab, faßte den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen:
Sie gingen zusammen weiter und als sie an einem Kirschbaum vorbei kamen, faßte der Riese die Krone des Baums, wo die zeitigsten Früchte hingen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand und deutete ihn zu essen.
Das Schneiderlein aber war viel zu schwach um den Baum zu halten, und als der Riese los ließ, fuhr der Baum in die Höhe, und der Schneider wurde mit in die Luft geworfen. Als er wieder ohne Schaden am Boden war, sprach der Riese:
antwortete das Schneiderlein,
Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum springen, sondern blieb in den Ästen hängen, so dass das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt.
Der Riese sprach:
Das Schneiderlein war bereit und folgte ihm. Als sie in der Höhle anlangten, saßen da noch andere Riesen beim Feuer. Jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um und dachte:
Der Riese zeigte ihm sein Bett an und sagte, er sollte sich hineinlegen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß und er legte sich nicht hinein, sondern kroch ganz nach hinten in eine Ecke.
Als es Mitternacht war, und der Riese meinte, das Schneiderlein läge in tiefem Schlaf, stand er auf, nahm eine große Eisenstange und schlug das Bett mit einem Schlag inzwei. Da meinte er, er hätte dem Winzling den Garaus gemacht.
Am frühsten Morgen gingen die Riesen in den Wald und hatten das Schneiderlein ganz vergessen. Da kam es auf einmal ganz lustig und verwegen daher geschritten. Die Riesen erschracken, fürchteten es schlüge sie alle tot und liefen in einer Hast fort.
Im Dienste seiner Majestät
Das Schneiderlein zog weiter, immer seiner spitzen Nase nach. Nachdem es lange gewandert war, kam es in den Hof eines königlichen Pallastes. Da es müde war, legte es sich ins Gras und schlief ein.
Während es da lag, kamen die Leute, betrachteten es von allen Seiten und lasen auf dem Gürtel
sprachen sie,
Sie gingen und meldeten es dem König, und meinten wenn Krieg ausbrechen sollte, wäre das ein wichtiger und nützlicher Mann, den man um keinen Preis fortlassen dürfte.
Dem König gefiel der Rat und er schickte einen von seinen Hofleuten zum Tapferen Schneiderlein, der sollte ihm, wenn es aufgewacht wäre, Kriegsdienste anbieten. Der Abgesandte blieb bei dem Schläfer stehen, wartete bis er seine Glieder streckte und die Augen aufschlug, und brachte dann seinen Antrag vor.
antwortete er,
Also wurde er ehrenvoll empfangen und bekam eine besondere Wohnung. Die Kriegsleute aber waren dem Tapferen Schneiderlein aufgesessen und wünschten, es wäre tausend Meilen weit weg.
sprachen sie untereinander,
Also faßten sie einen Entschluß, begaben sich allesammt zum König und baten um ihren Abschied.
sprachen sie,
Der König war traurig, dass er um des Einen willen alle seine treuen Kämpfer verlieren sollte und wünschte sich, dass seine Augen ihn nie gesehen hätten. Gern wäre er ihn wieder los geworden, aber er traute sich nicht, ihm den Abschied zu geben, da er fürchtete, er möchte ihn sammt seinem Volk tot schlagen und sich auf den königlichen Thron setzen.
Eine neue Aufgabe
Er überlegte lange hin und her und endlich fand er einen Rat. Er schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen, weil er ein so großer Kriegsheld wäre, so wollte er ihm ein Angebot machen.
In einem Walde seines Landes hausten zwei Riesen, die mit Rauben, Morden und Brennen großen Schaden anrichteten. Niemand konnte sich ihnen nähern, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Wenn er diese beiden Riesen überwände und tötete, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Frau geben und das halbe Königreich obendrein. Auch sollten hundert Reiter mit ziehen und ihm Beistand leisten.
dachte das Schneiderlein,
Noch mehr Riesen
gab er zur Antwort:
Das Tapfere Schneiderlein zog aus und die hundert Reiter folgten ihm. Als er zu dem Rand des Waldes kam, sprach er zu seinen Begleitern:
Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Nach einem Weilchen erblickte er beide Riesen. Sie lagen unter einem Baum und schliefen. Sie schnarchten dabei so laut, dass sich die Äste bogen.
Das Tapfere Schneiderlein, nicht faul, sammelte beide Taschen voller Steine und stieg damit auf den Baum. Als es in etwa der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen.
Der Riese spürte lange nichts, bis er endlich aufwachte, seinen Gesellen anstieß und sprach
sagte der andere,
Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab.
rief der andere,
antwortete der erste. Sie zankten sich eine Weile herum, doch, weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fing sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust.
schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und fiel über seinen Gesellen her: dieser zahlte mit gleicher Münze, und sie gerieten in solche Wut, dass sie Bäume ausrissen und auf einander los schlugen, und ließen nicht eher ab als bis sie beide tot auf der Erde lagen. Nun sprang das Schneiderlein herab.
sprach es,
Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann ging es hinaus zu den Reitern und sprach:
fragten die Reiter.
antwortete der Schneider,
Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein. Da fanden sie die Riesen in ihrem Blute schwimmend, und rings herum lagen die ausgerissenen Bäume.
Das Schneiderlein verlangte von dem König die versprochene Belohnung. Der aber bereute sein Versprechen und er überlegte aufs neue, wie er sich den Helden vom Hals schaffen könnte.
Das Einhorn
sprach er zu ihm,
Er nahm sich einen Strick und eine Axt, ging hinaus in den Wald, und hieß abermals die, welche ihm zugeordnet waren, außen zu warten. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn das Einhorn kam bald daher. Es sprang geradewegs auf den Schneider los, als wollte es ihn ohne Umstände aufspießen.
sprach er,
blieb stehen und wartete bis das Tier ganz nahe war, dann sprang er behendiglich hinter den Baum. Das Einhorn rannte mit aller Kraft gegen den Baum und spießte sein Horn so fest in den Stamm, dass es nicht Kraft genug hatte es wieder heraus zu ziehen, und so war es gefangen.
sagte der Schneider. Er kam hinter dem Baum hervor, legte dem Einhorn den Strick erst um den Hals, dann hieb er mit der Axt das Horn aus dem Baum und als alles in Ordnung war, führte er das Tier ab und brachte es dem König.
Das Wildschwein
Der König aber wollte ihm den verheißenen Lohn noch immer nicht gewähren und machte eine dritte Forderung. Der Schneider sollte ihm vor der Hochzeit erst ein Wildschwein fangen, das in dem Wald großen Schaden tat. Die Jäger sollten ihm Beistand leisten.
sprach der Schneider,
Die Jäger nahm er nicht mit in den Wald, und denen war es ganz recht so. Das Wildschwein hatte sie schon mehrmals so empfangen, dass sie keine Lust hatten ihm zu begegnen.
Als das Schwein den Schneider erblickte, lief es mit schäumendem Maul und gewetzten Zähnen auf ihn zu, und wollte ihn zur Erde werfen. Der flüchtige Held aber sprang in eine Kapelle, die in der Nähe war und gleich oben zum Fenster in einem Satz wieder hinaus.
Das Schwein war hinter ihm her gelaufen, er aber hüpfte außen herum und schlug die Türe hinter ihm zu. Da war das wilde Tier gefangen, da es viel zu schwer und unbeholfen war, um durch das Fenster heraus zu springen.
Das Tapfere Schneiderlein rief die Jäger herbei und die mußten den Gefangenen mit eigenen Augen sehen.
Der Held aber begab sich zum Könige, der nun, er mochte wollen oder nicht, sein Versprechen halten mußte und ihm seine Tochter und das halbe Königreich übergab.
Die Belohnung
Hätte er gewußt, dass kein Kriegsheld sondern ein einfaches Schneiderlein da vor ihm stand, es wäre ihm noch mehr zu Herzen gegangen. Die Hochzeit wurde also mit große Pracht und kleiner Freude gehalten, und aus einem Schneider ein König gemacht.
Nach einiger Zeit hörte die junge Königin in der Nacht wie ihr Gemahl im Traume sprach
Da merkte sie in welcher Gasse der junge Herr geboren war. Am nächsten Morgen klagte sie ihrem Vater ihr Leid und bat, er möge ihr von dem Manne helfen, der nichts anders war als ein einfacher Schneider.
Der König sprach ihr Trost zu und sagte:
Intrigen
Die Frau war zufrieden. Des Königs Waffenknecht aber, der alles mit angehört hatte, war dem jungen Herrn gewogen und erzählte ihm alles.
sagte das Tapfere Schneiderlein.
Abends legte es sich zu gewöhnlicher Zeit mit seiner Frau zu Bett. Als sie glaubte, er sei eingeschlafen, stand sie auf, öffnete die Türe und legte sich wieder. Das Schneiderlein, das sich nur stellte, als wenn es schliefe, fing an mit heller Stimme zu rufen
Als diese den Schneider also sprechen hörten, überkam sie eine große Furcht und sie liefen, als wenn der Teufel hinter ihnen her wäre. Keiner wollt sich mehr an ihn wagen. Also war und blieb das Schneiderlein sein Lebtag ein König.